André Rival

 

Alles komplett, alles in Reih und Glied  Stuhljoch,Wurmkopf und Schöneck , Viehkogel, Schindelkopf,großer Hundstod. Der Königssee steht wie gestochen darüber der Watzmann mit Frau und Kindern. und der Tonbandautomat mit dem orangefarbenen Telefonhörern verspricht für eine Mark Interessantes und Wissenswertes von dieser herrlichen Gegend.Aber André Rival murrt. Eine herrliche Gegend ist noch keine Landschaft. Er klettert über den Zaun der Aussichtsplattform, meditiert auf  heikler Felsnase 1874 m über die Meeresspiegel. Lässt den Sucher in diesige Sommerlift wittern und möchte Berge versetzen. Der Jenna der Berg auf dem er steht müsste dorthin wo sich jetzt im stumpfen Schwarz die Gotzenalm wölbt.Dann schaut RIVAL  voll Melancholie hinab auf die hässlichen Kratzer, die das Grün der Königsbachalm zerschrammen.Zu viele Straßen quengelt  er, schießt unwirsch Polaroids, knickt störende Ecken ab, merzt hier einen Felshaufen aus und dort einen streifen Himmel.Überall Dissonanz statt Sphärenklang, Kako- statt Sinfonie. Wirklichkeit statt ideal.Vielleicht hätte der liebe Gott vor Inangriffnahme der Schöpfung Harmonielehre pauken sollen oder den goldenen Schnitt.So ist sein Werk nur selten zu gebrauchen. Jetzt greift auch noch eine Hornisse an und treibt den Fotografen ins Geröll. Nein: "die Welt ist kein Traum". so schrieb einst der Dichter Novalis, der jungverwehte Bannerträger der deutschen Romantik. "aber sie soll und wird vielleicht einer werden". Auch Andre Rival ersehnt den Traum; doch im Zeitalter des Kunstdüngers wächst auch die blaue Blume nicht mehr mit Naturkraft allein. " die Welt muss Romantisiert werden ", befahl der Poet - im globalen Dorf taugt dazu nicht mehr des Knaben Wunderhorn, es braucht die Wunder der Technik: " alle Bezauberung ", so schon Novalis, " ist ein künstlich erregter Wahnsinn. " André Rivals Labor, dessen Geheimnisse er hütet wie einen Gral, wird das Entwicklerbad zum Weihwasser. Vergoldete Landschaften tauchen daraus auf, verkehrte Welt. Erde und All  verschwimmen in Unendlichkeit, werden Nebel, werden Schleier. Schottische Schlösser weinen matt grüne Spiegeltränen in kupferne Meere. Die Ostsee frisst Kreide von den Klippen und liegt schwer träumend zu ihren Füßen. Kapellenkuppeln, schimmernd in hundertfachem Blitzlicht-Bombardement , beglänzen weiße Kykladen -Nächte mit sehnend violettem Schein. Reine Sehnsucht aber sind Rivals Himmel. Aus der Nacht der Dunkelkammer treten Sie bleich an einem flauen Tag ohne Sonne. Schwermütig schimmert ihr Teint  in Sepiagelb oder rosafarben überglänztem Blei. Es muss dieser " Rosenschein" gewesen sein, den Heinrich Heine in den Dichtungen des Novalis fand, der "nicht die Farbe der Gesundheit, sondern der Schwindsucht" sei. Diese schweigenden Himmel haben kein Wetter, und so kennen Sie auch kein Datum und keine Zeit. Um der Welt das Heute auszutreiben, bedarf es der Technik von übermorgen. Die Breitbild-Kamera, mit der André Rival, der Ingenieurs Sohn, den engen Blick der Aufklärer zum romantischen Universum dehnt (Novalis: " Aus einer Welt-ein Weltall" ), ließ er sich eigens von einem erfinderischen Augenarzt aus Hannover maßschneidern, nachdem selbst die avanciertesten amerikanischen Modelle seine Hoffnungen enttäuscht hatten. Mit ihr weitet Rival fortan jedes Idyll zum Sinnenbetörenden Cinemascope-Format. Berg und Meer  orchestriert er ausladend wie Wagener-Ouvertüren: Links schiebt das Waldhorn hohles Schwarz in den See, rechts fächern die Klarinetten der Bergkette das Thema auf, in der Mitte strahlt der Gipfel auf, wie ein Trompetenstoß und über allem liegt der Himmel wie ein endloser, süß vergehender Streicherton. Philosophie, schrieb Novalis, ist der "Trieb überall zuhause zu sein". So fährt André Rival wie weit Kotflügel und Ölwannen auf Forstwegen zuschanden, steht jede Nacht gegen 4:00 Uhr auf, um der Sonne zuvorzukommen, welche die Welt unerträglich wirklich und greifbar macht. Stöbert noch lange nach ihrem Untergang im kostbaren Restlicht, kürzt den Schlaf ab, um den Traum zu finden. Aber im Schwarzwald stehen die Täler voller Tannen, jede Linie zunichte machen und den Fotografen in Trübsinn stürzen. Im Allgäu weiden Kühe  in heilloser Unordnung, bis der Fotograf mit seinen Assistenten die Herde in kompositorisch zureichende Muster treibt. In der sächsischen Schweiz verzweifelte der Fotograf an einer unbotmäßigen Birke, und geduldig redet ihm der Assistent den Griff zur Axt aus.Ein Traum erträgt keine Gewalt. Hier auf dem Jenner ist er noch einmal aufgeblitzt, der Traum, für ein paar Sekunden. Als noch die Seilbahn Kabine am Gipfel ausschaukelte, zerrte der Instinkt den Fotografen  schon bergan, ließ ihn den Karawanen Weg zum Gipfel meiden. Blindlings und hastig stolperte Rival den unscheinbaren Seitenpfad hinauf. Dort saß er auf einem Felsen und sah, nein, schaute ein Panorama im perfekten Cinemascope Format: ein moosgrünes Tal, durchflossen von einem dünnen Weg , gerahmt von schroffem Gestein. Einem untadeligen Horizont, aufgeblättert in blaue Bergschichten und weiße Schneefelder. Aber dann sah er den Berggasthof, der den linken Bildrand auffraß wie eine Fehlbelichtung : Aus der Traum. "Wir suchen über all das Unbedingte" , klagte Novalis, "und finden immer nur Dinge". Das Kind André Rival, behaust im behüteten Berliner Stadtteil Zehlendorf, wollte einmal Ortesucher werden. Es wollte durchs Leben streifen und Schätze finden,die es anderen zeigen konnte. Doch um den kleinen André und seine Stadt standen Mauern. Nur einmal im Jahr, Sommer für Sommer, entführten ihn die Eltern über die Mauer hinweg nach Bayern. Über dem Ammersee standen dann am Horizont die Berge und flößten ihm Liebe ein. Romantiker fand Schiller, sind "Verbannte, die nach der Heimat schmachten". André Rival musste nach New York umziehen, um sein Heimweh zu entdecken. Dort sah er in  eine Welt aus Reklame und hartem Glanz, und seine Seele wurde leer. Hinter den Wolkenkratzern ahnte er monumentale und gewaltätige Natur; Prärien, Canyons und Wasserfälle. Aber sie hätten die kostbaren Rahmen gesprengt, in die er seine Bilder dachte sie lähmten seinen Sinn für Harmonie. Er sehnte sich nach dem Traulichen. Er dachte an all die kleinen, verschämten  Orte der deutschen Provinz, die er einst als Basketballer bei seinem Auswärtsspielen in der zweiten Bundesliga kennen gelernt hatte;  jedes zweite Wochenende eine neue Heimat. Hier aber, im Berchtesgadener Land, im weichem Abendlicht vorm Berggasthof Alpentalhütte, fügt sich sogar der Schweinsbraten mit Knödeln zum Tableau. "Das ist ein Foto", staunt Rival. Eine Kuh brüllt, Zithermusik vom bayerischen Rundfunk ziept aus dem Haus, zwischen Brandkopf und Dürreck öffnet sich dem liebenden Auge das Tal. Ein Panorama? Nicht für den Fotografen. Ungeschickte ragt eine Tanne ins Bild, und viel zu hohe Gräser kitzeln unsanft den Vordergrund. "Meine Bilder müssen aussehen wie gemalt", sagt André Rival. "Sie sollen die Wirklichkeit im Gefühlssinn wiedergeben", Rivals Seelenton, Grundfarbe Moll, hüllt Landschaften in Samt und Seide. Er verschmäht die gängigen Fotos der Wallfahrtskirche Sankt Bartholomä am Königssee, auf denen man den Weg zur Toilette sieht.n Er hasst die Dia-Fotografie, diese "Vorherbestimmung durch die Industrie". Seine Helden sind Landschaftsmaler,die schönen Seelen  der Romantik, die das Naturschöne mit inneren Wallungen aufluden: wie der traurige Caspar David Friedrich("Des Künstlers Gefühl ist sein Gesetz"), der von einer neuen Gotik träumte und seine Kreideklippen und Felsgebirge gerne mit Männern in altdeutscher Tracht garnierte. "Sonderbar schauerliche Neugier, die oft die Menschen antreibt, in die Gräber der Vergangenheit hinab zu schauen!"wunderte sich Heinrich Heine 1833 über die "Romantische Schule". "Es geschieht dieses zu außerordentlichen Perioden, nach Abschluss einer Zeit oder kurz vor einer Katastrophe." Das Jahr, in dem die Fotografen Karriere des André wie bei begann war das Jahr 1989 (ein Zeitenende ? eine Katastrophe ? das Jahr des Mauerfalls. Deutschland begann, um sich selbst zu kreisen, und André Rivals  Seele ankerte im deutschen Wahnsinn Hölderlins, der deutschen Tragik Ludwig II. und der bitterem Kunst des Joseph Beuys. " Ich bin stolz", sagt er  "daß der meine Sprache sprach." André Rival ist ja kein Naturbursche; kein Pfadfinder und kein Waldläufer. Für seine melancholischen Expeditionen verlässt er sich gern auf den Trost bequemer Autos und komfortable  Hotels. In einer Woche ist er durch ganz Deutschland gekreuzt. Nun steht er ratlos auf dem Weg zum Feuerpalfen über den Königssee, die Arme noch gesprenkelt vom Neuschwansteiner Mückenstichen. Der "Golf" ist 100 Meter tiefer an der Spitzkehre gescheitert über den Wartzmann rollt der Donner, und plötzlich wird der Tag zur Nacht, aufgerissen von Blitzen. Weiße Dreiecke flackern zwischen schwarzen Bergen, Kühle triefen zwischen Fichten und André Rival rennt bergab; bloß ins Auto, bloß weg. Das ist Natur, wie wie Rival sie nicht schätzt. Seiner Natur hat Goldrand . Er fotografiert ja keine Dramen, sondern Märchen, ganz in romantischer Tradition (Novalis: "Alles Poetische muß märchenhaft sein") Und Märchen beziehen ihren Zauber nicht zuletzt daher, dass man sie schon kennen. Der gewagte Blickwinkel, die nie gesehene Perspektive lassen Rival kalt. "Nicht umsonst gehen die Leute immer an die selben Stellen ", sagt er "ich mag Klischees." Das schottische Kastell Eilean Donan, Trutzburg mythenverhangener Einsamkeit, Schauplatz des Ritter-Dramas "Highlander", fing er vom Großarkplatz gegenüber ein. Flankiert von 50 fotohungrigen Touristen mit Klick-Kameras, umbraust vom Autodonner der nahen Schnellstraße. Den Traum findet, wer ihn nicht mehr sucht. Kürzlich hat Rival diese einfache Wahrheit vergessen. Tagelang hatte er das Schloss Neuschwanstein umzingelt, stieg mit dem Seil und Steigeisen in den Berg. Das perfekte Bild aber fand er schließlich auf der Marienbrücke über der Pöllatschlucht, die der Baedeker empfiehlt. Schulter an Schulter mit den Rittern der Fotoalben drückte er ab unbeirrt. Die Alchimie erledigt er in der Dunkelkammer, um das Bild zu gewinnen, "daß König Ludwig am besten gefallen hätte." Und ein ludwigscher Kinderblick ist es auch (" Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter", schrieb Novalis), der Blick des Gralssuchers Parsifal, den  André Rival  aus blassen Augen auf die Welt richtet. Ein Blick, der naive, unmoderne Worte sagt wie: "Herrlich." Die Enthüllung haßt, die indiskrete Gier nach dem Detail, die analytische Detektivarbeit des Teleobjektivs, das die Ferne zerstört. Erst in der Entfernung, fand Novalis, wird alles Poesie . Am Leuchtturm von Westerhever ist Rival ins Wattenmeer gegangen; den vorgeschriebenen Wanderweg entlang, durch Salzwiesen, vorbei an gelbgummierten  Touristen und Schafsgebölk. Jetzt ist das Watt ein Spiegel, Sandbänke stehen wie Schatten, und Rival stapft, das Stativ auf dem Rücken, durch flüssigen Himmel. Eine rote Abendsonne explodiert in Wolkenfetzen, im Schlamm ein Echo aus silbrigen Trittspuren. André Rival marschiert an den Markierungspfählen entlang ins Nichts und malt sich wohlig aus, wie es wäre, immer weiterzugehen ins Unendliche und nicht zu merken, wenn die Flut kommt. Endlich dreht er sich um, und die Welt ist weit. Das Land ein Strich, der Leuchtturm ein Komma. Endlich gibt es nichts mehr als Entfernung. Und Rival schlägt das schwarze Samttuch über den Kopf, späht durch den Sucher und sagt einfach:  "Herrlich."





 

 Jörg Uwe Albig für Geo, 1998