André Rival

 

Nur keine Zeit verlieren



 

Wenn man den als so genannten „Starfotograf“ bekannten Fotokünstler André Rival in seinem Berliner Atelier besucht, fallen einem als erstes großformatige Farbilder auf, die den Fotografen gemeinsam mit verschiedenen Menschen, etwa dem Supermodel Nadja Auermann, dem Stardesigner Karl Lagerfeld oder etwa der Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigen.

Sie sind Teil der Serie „André Rival-André Rival“, mit der Rival unter anderem spätestens 2002 berühmt wurde und die ihn jeweils zusammen mit Prominenten aber auch Nichtprominenten in Form einer Art Fotopersiflage zeigt.

Als Teilzeitkünstler sah er sich schon immer, dessen Hauptanliegen es war, mit dem durch Auftragsarbeiten verdienten Geld , vor allem eigene Fotoideen umzusetzen. Neben ungezählten Veröffentlichungen in Zeitschriften hat Rival auch zwei Bücher publiziert, unter anderem das auflagestarke „Self Images ,100 Women“ ( Edition Stemmle, 1994), indem sich, viele Jahre vor der heutigen, omnipräsenten Selbstdarstellungshysterie, Frauen selber nackt inszenierten und fotografierten, d.h. sogar in Abwesenheit des Fotografen, der sich als Konzeptfotograf im Nebenzimmer aufhielt. Diese Serie erlangte weltweit großes  Echo und war unter anderem eines der damals am Besten verkauften Kunstbücher im Museum of Modern Art Bookstore in New York. Es folgten diverse Ausstellungen, u.a. im Hygiene Museum in Dresden mit über 94 000 Besuchern.

Aber immer nur dann, wenn er das Gefühl hatte, wirklich etwas Bleibendes zu sagen zu haben, wollte er Bilder in der für ihn „heiligen“ Buchform publizieren. „Bücher sind wirkliche Schätze für die Ewigkeit", deshalb verbot es sich für Rival etwa alle zwei Jahre das jeweils aktuelle Portfolio in Buchform zu gießen.

Es folgten mehrere komplette Kehrtwendungen in Rivals Schaffen. Nach dem großen Erfolg als Konzeptfotograf mit der „100 Frauen Sebstansichten“ Serie und einer, mit einem Preis bedachten Tätigkeit als Art Director bei einem zur damaligen Zeit sehr bekannten Kultur und Modemagazin der ehemaligen DDR ( Sibylle ) , zog es ihn in die Ferne. Er intensivierte seine starke Naturliebe und fotografierte fast ausschließlich Landschaften im malerischen Panoramaformat. Durch eine besondere Farbtechnik gelangen ihm Bilder von bedeutsamer Schönheit, die ihn um die Welt führten. Diese Bilder scheinen beim Betrachten mehr das innere Gefühl zur Landschaft einzufangen, als die naturalistischen Farbwerte („Die gefühlte Realität ist realer als die eigentliche Realität" ) Es folgten weitere Jahre des Reisens und ein Umzug von Paris nach New York, wo Rival  jeweils mehrere Jahre lebte und arbeitete.

Mit der Geburt seiner Tochter änderte er sein Leben erneut und kehrte nach Berlin zurück. Er begann wieder Menschen zu fotografieren, besonders Frauen, auch immer wieder in Aktform. Es entstanden über die Jahre die Serien „Andreé", (ab 2004), „Berlinerinnen“, (2005), sowie „Herkulesufer", (2009), und eine erstmalige und ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema Reportage. Aus der Innensicht der „Gesellschaft der Nullerjahre“ im sich neuerfindenden Berlin erstellt er über fast 10 Jahre ein Sittenbild der Stadt und seiner Protagonisten. Die Serie nennt er "Nutzlose Bilder", (ab 2003) weil die Bilder für Niemanden gebräuchlich sein sollen. Poetisch, fast abstrakt, geraten die als Reportage begonnenen Aufnahmen schnell in schwarzweiße Hymnen an die klassische Fotografie. Dies scheint unzeitgemäß im Zeitalter der Trashhandyfotografie in einer Multifunktionsgesellschaft. Soviel zeitgeistloses in der eigenen Arbeit irritiert den Fotografen schon, der auch einsieht, daß gerade die Fotografie ein Medium ist, welches eigentlich am Besten die Strömungen der Zeit einzufangen vermag. Seit seiner ersten Einzelausstellung „ Weinende Frauen“,(1992) und „ Das Berliner Bad - one picture exibition“,(1993), liegt es ihm immer wieder fern, sich dem Zeitgeist hinzugeben, obwohl jede seiner Serien immer auch die jeweilige gesellschaftliche Situation zu reflektieren scheint.

Seit Jahren schon hat er viele Möglichkeiten Auftragsarbeiten auszuführen abgelehnt. Ausschlaggebend war die immer größer werdende Beschränkung durch die Vorgaben der Redaktionen und der daraus resultierende Verlust der eigenen Autorenschaft. Übrig blieb die Dringlichkeit, etwas Zeitloseres mit seinem Werk zu schaffen und ein neues Selbstverständnis als „ abgewandter Künstler“ in der Abgrenzung zum bis dahin „ angewandten Künstler “, Denn: Welche Halbwertszeit hat der ausufernde Starkult und die Stilisierung von medialen Nichtigkeiten überhaupt ? In der Folge beginnt Rival sich mit situationistischer  Kunst zu beschäftigen. Es entsteht eine neue Serie "Attractions ",(2010) mit Portraits von Frauen in einem Bett, die in extrem großformatigen Bildern nach der absoluten fotografischen Freiheit streben. Durch die Beschleunigung des Fotografierprozesses enstehen Einzelportraits bestehend aus jeweils 50 000 Bildern, Das ist in etwa genau die Zahl an Bildern, die Rival in den letzten zehn Jahren seit Einführung der Digitalfotografie insgesamt gemacht hat. Nun macht er eben genau diese gezählten 50 000 Bilder in jeder seiner Fotosessions und verarbeitet sie anschließend zu Collagen. Die dabei entstehenden Bilder sind aber immer noch klar im Kontext der Fotografie verortet, weil der Betrachter die kleinen Bilder nur mühevoll sehen kann, sie jedoch noch als solche in Form und Inhalt erkennbar bleiben. Die Serie scheint dabei auch die Verlorenheit des Einzelnen im „Zeitalter der Möglichkeiten“ und des Internets darzustellen.

Seine neuste Arbeit verblüfft, indem sie zwar unmittelbar mit dieser Serie zusammenhängt, jedoch gleichzeitig gar nicht weiter von ihr entfernt seien könnte. Unter dem Motto „Beschleunigte Entschleunigung“ ( Accelerated deceleration) hat Rival es sich zum Ziel gesetzt, 1 000 000 000 ( eine Milliarde ) Fotos zu machen . Seine Bilderflut wird in jeweils eine Million Bilder verkleinert, collagiert und benannt nach einzelnen Tagen des Entstehens, als Fotocollage in einer farbigen Streifenästhetik präsentiert . Kann man sich unter den milliardenschweren Rettungsschirmen überhaupt etwas vorstellen? Wie kann ich meine Lebenszeit bewusster wahrnehmen und gestalten? Solche Fragen ließen Rival den Ausbruch aus seinem gelernten  System radikal vollziehen. Mit dem neuen Ansatz ist seine Arbeit existentieller und tiefgründiger geworden: „Das sind Bilder, für die ich meine ganze Arbeitszeit opfern muß“ , sagt Rival. In der Tradition Marcel Duchamps ordnet er die handwerkliche Professionalität der Relevanz eines am Konzept orientierten Objekts unter, und schafft sich damit selbst als Könner, im Gegensatz zum Dilettanten, eine immense Fallhöhe. Die Bilder erinnern formal ein wenig an Gerhard Richters „Strip“ Bilder oder eines der Muster, die für den Modedesigner Paul Smith typisch sind, jedoch „malt-fotografiert" Rival hier abstrakte Bilder nicht mit Pinsel und Farbe, sondern mit  Realität und der vergehenden Zeit. Er passt seine eigene Zeit dem von den Bilder abverlangten Farbwerten und Kompositionen an. Indem er der Quantität gegenüber der Qualität höhere Bedeutung zuteilt und somit zu dem augenblicklich vielleicht „meist fotografierenden Menschen der Welt“ wird, schafft er zugleich eine Abwendung von dem kunstgeschichtlich zugrunde gelegten Geniekult um den Künstler. Er tritt als Person hinter seine Fotografien zurück. Damit schließt er auch seinen künstlerischen Kreis und kehrt fast ungewollt zu seiner Anfangszeit als Konzeptfotograf zurück. Auch die Beschäftigung mit dem digitalen Überfluss unserer Zeit ist Thema seiner Fotocollagen.

Seit der Einführung der Digitalfotografie findet die Herstellung einer irrsinnigen Zahl von zumeist belanglosen Bildern statt. Gleichzeitig bietet die neue Technologie Rival überhaupt erst die Möglichkeit, ein so umfangreiches Projekt umzusetzen: vor zehn Jahren noch hätte eine solche Anzahl Fotografien jeden finanziellen Rahmen gesprengt. Hier findet eine reflexive Auslotung der gesellschaftlichen Entwicklungen zwischen den beiden Polen Sinn und Unsinn statt. Nach der jeweiligen Bildproduktion werden die digitalen Fotografien sofort wieder gelöscht. Ihre Kurzweiligkeit verdeutlicht das Verrinnen unserer eigenen Lebenszeit. Übrig bleibt ein Tagebuch Rivals gelebter Zeit und ein Rückblick auf Gewesenes. Beim Betrachten der bereits hergestellten etwa 350 Millionen Bilder zeigt sich die Masse und die immense Zeitinvestition dieses work- in- progress Projekts, das erstaunlicherweise eine strake kontemplative Ruhe hervorruft. Wen man nach dem Atelierbesuch hinaus auf den Gehweg tritt, begleitet einen auf dem Nachhauseweg die eine Frage: Wieviel Zeit bleibt mir noch und wie will ich sie verbringen?

 

David Braun , Berlin 2012